Prinzip Umwandlung

Gegenstände alltäglichen Gebrauchs, Werkzeuge, Fundstücke, Dinge, die als wertlos ausrangiert wurden. Was ist an ihnen zu entdecken?

Ich konzentriere mich auf einen Gegenstand, trete in einen Dialog mit ihm. Die Augen wandern über seine Details, erkunden den Formzusammenhang. Die zeichnende Hand und der Bleistift protokollieren das Wahrgenommene, dabei wird das, wie es scheint, unveränderliche Objekt zu einer Sequenz von Linien und Formen auf dem Papier.

Schon hier wird deutlich, dass ich nicht auf das gestochen(!) scharfe Abbild, quasi eine Verdopplung des Gegenstandes aus bin, sondern auf den Prozess seiner Wahrnehmung, Deutung und Bildwerdung. Die Möglichkeit, solche Prozesse exemplarisch durchzuführen und zu dokumentieren, finde ich im Produktionszusammenhang von Zeichnung, Kupferstich und Tiefdruck. Traditionell sind dies Verfahren der Bildherstellung und Bildreproduktion. Mich interessiert an ihnen wiederum nicht das Ergebnis, sondern der gesamte Prozess mit der Abfolge klar begrenzter Bildzustände, die bei mir zu einer Serie gleichwertiger Bilder werden, die als Ganzes zu betrachten ist.

Mit der Übersetzung der Zeichnung in den Kupferstich kehrt der Gegenstand - nach seinem Dasein auf der Fläche - in komprimierter Form ins Dinghafte zurück. Ich behandle die Kupferplatte beim Stechen wie ein Werkstück zwischen beiden Händen: Die rechte Hand führt den Stichel, die linke bewegt die Platte, arbeitet der rechten zu. Ebenso ist das Gravieren einer Linie, wenn der Stichel – gegen den Widerstand des Metalls – einen Span herausschält, deutlich von plastisch-räumlichen Vorstellungen begleitet.

Die bereits beim Zeichnen geleistete Abstraktion des Gegenstandes gewinnt im Kupferstich an Prägnanz. Die spezifische Dynamik des Stechens steigert die Bewegung in der Zeichnung zu einer Bewegungsgestalt, gebildet aus verschieden gerichteten Linien; sie tendiert dazu, den Gegenstand aufzubrechen, sich über ihn hinaus zu entfalten.

Grenzlinien im Bild führen als vertiefte Gravuren zu einer Segmentierung der Kupferplatte, die Teile können sich selbstständig machen, auseinanderdriften, neue Kombinationen bilden. Die Druckplatte, als Ensemble von mehreren Platten, ist ein vielfältig variierbares Modell des Gegenstandes geworden.

Im Druckvorgang gelangt der Gegenstand, über die Vermittlung der gravierten Kupferplatte, wieder auf eine Bildfläche, den Druckbogen. Dabei kann die Position der Plattensegmente variiert werden; mit der "Collage im Tiefdruck" kommen neu assoziierte Bildbereiche ins Spiel; schließlich ist der Einsatz von Farbe möglich – im Unterschied zum Schwarz-Weiß des historischen Stichs.

Was wird bei dieser im Prinzip endlosen Bildentstehung deutlich?

Der Gegenstand, als Teil einer bestimmten Lebenswirklichkeit, hat sich weit über seine faktischen Grenzen hinaus ausgedehnt, ist mehrdeutig geworden und animiert den Betrachter, die Impulse zur Verwandlung aufzunehmen und weiter zu denken.

Jenseits des Funktionierens, so zeigen die Bilderserien, können Dinge neue und immer neue Geschichten entwickeln.

Januar 2015, Heribert Bücking